Einleitung
Schön verpackt und versiegelt ist halb verkauft. Das muss doch für Nachhaltigkeit auch gelten. Oder?
Ganz sicher galt dieses Credo einmal. Doch ein regelrechter Siegel-Tsunami löste zunächst Desorientierung, und dann richtiggehende Glaubwürdigkeits- und Vertrauensprobleme aus. Denn wenn alles mit Qualität, Klimaschutz, Tierwohl und Co. versiegelt ist - dann kommt irgendwann die Frage auf: Und was steckt nun wirklich dahinter?
Lesen Sie folgend:
Über das Paradox, Glaubwürdigkeit vermitteln zu wollen, aber die gegenteilige Wirkung zu erlangen und warum ein Siegel heute kein Nachhaltigkeits-Proof mehr ist
Die entscheidenden Reaktionen von NGO, Politik & Co. gegen das branchenübergreifende Greenwashing
Neue Wege in der glaubwürdigen Nachhaltigkeitskommunikation
Nachhaltigkeit: Alles schön bunt hier
Was haben alle diese Kategorien gemeinsam?
Arbeitswelt und Büro
Bauen und Wohnen
Bekleidung und Schuhe
Betriebsabläufe
Dienstleistungen
Energie und Strom
Essen und Trinken
Gesundheit
Haus- und Elektrogeräte
Internet und IT
Kosmetik und Sanitär
Natur und Garten
Senioren
Sport und Freizeit
Tourismus und Mobilität
Jede dieser Kategorien für sich vereint unzählige Label unter sich, die über eine bestimmte Qualität Auskunft erteilen oder sogar bürgen sollen. Und in kaum einem anderen alltäglichen Terrain wie dem Supermarkt kommt es uns derzeit derart: „Alles nachhaltig!“
Die Krux: es gibt keinerlei gesetzliche Regelungen und so kann grundsätzlich jeder ein Prüf- oder Gütesiegel kreieren und verwenden. Allein auf dem deutschen Markt gibt es inzwischen mehr als 1000 verschiedene Kennzeichen und Label. Der weitaus größte Teil von ihnen betrifft den Lebensmittelmarkt.
Der Boom, Nachhaltigkeit über Siegel zu besiegeln, ist nicht neu. Im Gegenteil erleben wir seit gut 15 Jahren ein ungebrochenes, heute fast exponentielles Wachstum dieser Glaubwürdigkeitsplaketten. Was steckt dahinter?
„Vollständige Transparenz und eine langfristige Verbesserung des Tierwohls sind uns ein wichtiges Anliegen. Hier haben wir bereits in der Vergangenheit wichtige Meilensteine erreicht und kennzeichnen daher bereits jetzt einen großen Teil unserer Frischeprodukte mit den Haltungsform-Stufen“ Robert Pudelko, Leiter Nachhaltigkeit Einkauf Kaufland Deutschland
Unternehmen wollen mit einem Siegel einen „Nachhaltigkeits-Proof“ liefern. Mit dem richtigen Siegel hinterfragt ein Konsument nicht mehr die Nachhaltigkeitsbestrebungen eines Unternehmens. Doch ist das wirklich so? In regelmäßigen Studien lesen wir solche oder ähnliche Ergebnisse: „Akzeptanz von Mehrkosten bei nachhaltigen Produkten hat sich innerhalb eines Jahres halbiert.“ Das heißt die bekannten Marketing-Mechanismen der Siegel-Industrie funktionieren nicht mehr.
Siegel sollen Vertrauen stiften, wo Transparenz fehlt
Siegel werden immer häufiger da eingesetzt,
wo dem Verbraucher die Orientierung,
Ein- und Durchblick sowie schlicht das Vertrauen
in das Unternehmen fehlt.
Obwohl zu keiner Zeit mehr über alle denkbaren Kanäle von Werbung, Marketing und PR kommuniziert wurde, gab es scheinbar auch noch nie eine so große Sehnsucht nach Transparenz. Doch bei all der besiegelten Transparenz ist streng genommen kaum noch was zu erkennen.
Die Herausforderung bleibt bzw. wächst an: Die Bedeutung von Nachhaltigkeit für Verbraucher ist auf einem hohen Niveau. Größte Hürde für Kaufentscheidungen pro Nachhaltigkeit ist die mangelnde Transparenz – nur eben nicht mit allbekannten Siegel-Mechanismen.
Von der Wand bis zur Tapete
Siegel sollen eigentlich etwas ganz Banales für die Unternehmen bewirken: Glaubwürdigkeit stiften. Doch warum herrscht denn eigentlich so viel Unglaube? Nun, eine Erklärung ist, dass der Verbraucher mittlerweile gelernt hat:
„Je problematischer ein Produkt und seine Herstellung, desto größer das Bemühen des Unternehmens, es mit Nachhaltigkeitssiegeln zu versehen.“ Kathrin Hartmann, Journalistin (u.a. Frankfurter Rundschau) und Autorin des Buches "Die Grüne Lüge
Eine andere, durchaus damit zusammenhängende Erklärung wäre, dass der Konsument bislang in einer bunten, oberflächlichen Marken- und Marketing-Bubble gelebt hat. Er sollte doch gar nicht hinter die Kulissen schauen! Wo Produkte immer austauschbarer wurden, sprießen Markenidentitäten aus dem Boden und verliehen dem Produkt den Anschein von Individualität. Es war gewollt, dass der Konsument nur die Oberfläche, aber bitte nicht die Hintergründe – wie Herstellungs- und Produktweisen – des Produktes kennenlernt.
Was machen wir, wenn Siegel als „Transparenz- und Vertrauensquelle“ ihren Geist aufgeben? Nun, hilfreicherweise gibt es immer mehr Foren, auf denen sich der bewusste Ottonormalverbraucher informieren kann, was nicht hinter dem Produkt, aber dafür hinter dem Siegel steckt:
Quelle: https://www.siegelklarheit.de
Quelle: https://label-online.de
Doch seien wir mal ehrlich mit uns selbst: Menschen, die sich für ein Produkt interessieren, wollen nicht erst über ein „Risikoausschlussverfahren“ gehen, ob dieses oder jenes Produkt auch wirklich gut ist. Nein, wir machen es uns heute deutlich bequemer, und zwar mit unserem stetigen Begleiter - dem Smartphone.
Smartphone als allwissendes Medium des Konsumenten
Das Smartphone hat hier eine beispiellose Karriere des betreuten Informierens rund um die Uhr aufs Parkett gelegt. Jede und Jeder trägt seines oder ihres wie selbstverständlich zu jeder Tag- und Nachtzeit bei sich. Gerade beim schnellen Nachschauen ist es ein treuer und vor allem vertrauenswürdiger Dialogpartner geworden – ob nun im Sinne des nachhaltigen, oder weniger nachhaltigen Einkaufsvergnügens:
Ist das Unternehmen bereits in Verruf geraten?
Wo oder bei wem bekomme ich das T-Shirt billiger?
Was sagen andere Kunden zu diesem Produkt?
Wo kann ich das Produkt meistbietend verkaufen?
Greenwashing auf politischer Abschussrampe
»Hinter dem Klimaneutral-Label steckt ein Riesenbusiness, von dem alle profitieren – nur nicht der Klimaschutz.« Rauna Bindewald, Foodwatch Spiegel, 24.11.2022
Im Siegelwald soll zukünftig kräftig abgeholzt werden. Denn sowohl EU als auch Bundesregierung wollen im Rahmen des Green Deals transparente Ordnung in grün gewaschene Begriffe wie „umweltfreundlich“, „umweltschonend“, „ökologisch“, „klimafreundlich“, „CO2-neutral“, „energieeffizient“ oder „biologisch abbaubar“ bringen. Und da der Politik mittleerweile bewusst ist, wie relevant der Konsument im Rahmen einer konsequenten Umsetzung einer grünen Klimapolitik ist, soll er befähigt werden, beim Kauf von Produkten fundiertere, umweltfreundlichere Entscheidungen zu treffen. Und das Ganze läuft unter dem Titel:
„Initiative zur Stärkung der Verbraucher für den grünen Wandel“
Die Siegelschwemme macht es für Ottonormalverbraucher immer schwieriger, umwelt-gerechte Entscheidungen zu treffen. Und so greift die Politik in das Marketing ein:
„Schwarze Liste“ zur Bekämpfung von Greenwashing
1. Fehlende Angaben über Eigenschaften, die die Lebensdauer gezielt beschränken, beispielsweise Software, die die Funktionalität der Ware nach einem bestimmten Zeitraum unterbindet oder mindert.
2. Allgemeine, vage Aussagen über die Umwelteigenschaften, wobei die positive Umweltleistung des Produkts nicht nachweisbar ist. Beispiele dafür sind allgemeine umweltbezogene Aussagen wie „umweltfreundlich“, „öko“ oder „grün“, die fälschlicherweise den Eindruck einer ausgezeichneten Umweltleistung erwecken.
3. Als unlautere Praktik gilt auch die Kennzeichnung mit einem freiwilligen Nachhaltigkeitssiegel, das weder auf einem Prüfverfahren durch Dritte basiert noch von Behörden stammt.
4. Fehlende Angaben darüber, dass das Produkt eine eingeschränkte Funktionsweise hat, wenn andere Verbrauchsmaterialien, Ersatzteile oder Zubehör als vom Original-Hersteller verwendet werden.
Aus der "„Initiative zur Stärkung der Verbraucher für den grünen Wandel“
Sind Regularien und Gesetze also der Weg in eine neue Glaubwürdigkeit? Nun, bereits bei einem kurzen Blick in die bisherigen Kommunikationshistorie der Siegel, Label & Co. zeichnet sich eigentlich nur eine Kurve deutlich ab: die nach unten fallender Glaubwürdigkeit.
Stattdessen wird eine Art der Kommunikation reüssieren, die theoretisch bestechend einfach umzusetzen ist: die direkte, zwischenmenschliche Kommunikation, die spontane Antworten erlaubt auf Fragen wie: Wo kommt das her? Wer hat das hergestellt? Unter welchen Bedingungen arbeiten die Menschen dort, kannst du mir das mal zeigen? Welche Inhaltsstoffe stecken da wirklich drin? Und viele Fragen mehr. Kurz:
Wird die Frage „Was wurde produziert?“
bald abgelöst durch „Von wem wurde es wie produziert?“
Quellennachweise und zum Weiterlesen (Stand Februar 2023)
Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG)
Hembach, Holger (2022): Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) (CB - Compliance Berater Schriftenreihe). Fachmedien Recht und Wirtschaft in Deutscher Fachverlag GmbH; 1. Auflage.
Jürgens, Max / Harings, Lothar (2022): Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz: Umsetzung und Auswirkungen des LkSG in der Praxis. Reguvis Fachmedien; 1. Edition.
Grabosch, Robert (Hrsg.) (2021): Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Nomos; 1. Edition.
Falder, Roland / Frank-Fahle, Constantin / Poleacov, Peter (2022): Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz: Ein Überblick für Praktiker
Springer Gabler; 1. Aufl. 2022 Edition (7. Mai 2022)
BMAS Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz
CSR in Deutschland - Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz
Deutscher Bundestag verabschiedet Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz
Deloitte: Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in der Praxis
Bayerischer Rundfunk: EU-Länder einigen sich grundsätzlich auf Lieferkettengesetz
Die Initiative Lieferkettengesetz: https://lieferkettengesetz.de
Absatzwirtschaft: Nachhaltigkeit in der Lieferkette: Zeit für Gerechtigkeit
Kreislaufwirtschaft
Rau, Thomas / Oberhuber, Sabine (2021): Material Matters: Wie eine neu gedachte Circular Economy uns zukunftsfähig macht | Die Antwort auf die Klimakrise ist die Kreislaufwirtschaft. Econ; 1. Edition
Münger, Alfred (2021): Kreislaufwirtschaft als Strategie der Zukunft: Nachhaltige Geschäftsmodelle entwickeln und umsetzen. Haufe; 1. Auflage
Beckmann, Martin (2022): Kreislaufwirtschaftsgesetz: Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz mit Verordnungen, Abfallverbringungsrecht. beck im dtv; 23. Edition
Europäisches Parlament: Recht auf Reparatur: Für Produkte, die langlebiger und reparierbar sind
VDI: Zirkuläre Wertschöpfung. Werkstoffliches und chemisches Recycling von Kunststoffabfällen
Europäisches Parlament Ökodesign-Richtlinie: Steigerung der Energieeffizienz und Recyclingfähigkeit
BMUV zur Kreislaufwirtschaft: https://www.bmuv.de/themen/wasser-ressourcen-abfall/kreislaufwirtschaft
Europäische Kommission: Circular economy action plan (CEAP): https://environment.ec.europa.eu/strategy/circular-economy-action-plan_en
Europäische Kommission zum neuen Aktionsplan der Kreislaufwirtschaft: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_20_420
Recyclingnews: EU-Kommission will nachhaltige Produkte zur Norm machen
EUR Lex (Zugang zu den Originaltexten) A new Circular Economy Action Plan:
Umweltbundesamt: Abfall- und Kreislaufwirtschaft
NABU: Kreislaufwirtschaft:
Koalitionsvertrag ZWISCHEN SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UND FDP: MEHR FORTSCHRITT WAGEN. BÜNDNIS FÜR FREIHEIT, GERECHTIGKEIT UND NACHHALTIGKEIT:
United Nations Global Compact: https://www.unglobalcompact.org/library/205
United Nations Global Compact: Nachhaltigkeit in der Lieferkette:
Deutsche Umwelthilfe: Nachhaltige Lieferketten: https://www.duh.de/themen/natur/naturvertraegliche-landnutzung/nachhaltige-lieferketten/
Europäer Green Deal
BMUV Den ökologischen Wandel gestalten. Integriertes Umweltprogramm 2030.
brand eins Sonderausgabe Der neue grüne Deal Dezember 2020
Bestell-Link: https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2020/unterhaltung/folge-01-ein-pakt-fuer-gesundes-wachstum
Europäisches Parlament Ökodesign-Richtlinie: Steigerung der Energieeffizienz und Recyclingfähigkeit
Europäische Kommission: Der Grüne Deal
Bundeszentrale für politische Bildung: The European Green Deal:
DIHK: Worum geht es beim Green Deal?
Ökodesign-Richtlinie
EUR Lex (Originaltexte): On making sustainable products the norm
Umweltbundesamt: Ökodesign-Richtlinie
Süddeutsche Zeitung, 28. März 2022: Wie die EU Produkte ökologischer macht
Europäisches Parlament Ökodesign-Richtlinie: Steigerung der Energieeffizienz und Recyclingfähigkeit
Sustainable Development Goals (SDG)
BMZ: Die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung
IHK: Die UN Nachhaltigkeitsziele (SDGs) als Maßstab für verantwortungsvolles Unternehmertum
United Nations Global Compact: https://www.unglobalcompact.org
Recycling
BMUV: Kreislaufwirtschaftsgesetz
BMBF (Plastik): WErtschöpfungsketten gestalten
Rohstoffwissen: https://www.rohstoffwissen.org/initiative/rohstoffkreislauf/
Stiftung zentrale Stelle Verpackungsregister: Mindeststandard recyclinggerechtes Design: https://www.verpackungsregister.org/stiftung-behoerde/mindeststandard-21/grundlegende-informationen
Europäisches Parlament: Recht auf Reparatur: Für Produkte, die langlebiger und reparierbar sind
VDI Zentrum Ressourceneffizienz: https://www.ressource-deutschland.de
Recyclingnews: EU-Kommission will nachhaltige Produkte zur Norm machen
Europäisches Parlament Ökodesign-Richtlinie: Steigerung der Energieeffizienz und Recyclingfähigkeit
ESG & Nachhaltigkeitsberichterstattung
Rat der Europäischen Union: Neue Vorschriften für die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen: vorläufige politische Einigung zwischen Rat und Europäischem Parlament
Regularien zum Greenwashing
BMUV Den ökologischen Wandel gestalten. Integriertes Umweltprogramm 2030.
Europäische Kommision: Unfair commercial practices directive
Europäische Kommision: Kreislaufwirtschaft: Kommission schlägt neue Verbraucherrechte vor und will Greenwashing verbieten
NKS / Bundesministerium für Bildung und Forschung: EU legt Vorschläge für nachhaltige Produkte vor
Digitaler Produktpass (DPP)
Digtler Produkpass
Europäisches Parlament Ökodesign-Richtlinie: Steigerung der Energieeffizienz und Recyclingfähigkeit
BMUV Der BMU Design-Sprint zum Digitalen Produktpass für die Elektromobilität
Umweltbundesamt Förderung des nachhaltigen Konsums durch digitale
Produktinformationen: Bestandsaufnahme und Handlungsempfehlungen
BDI Der „Digitale Produktpass“ auf dem Prüfstand
Recyclingnews: EU-Kommission will nachhaltige Produkte zur Norm machen
DKE Digitaler Produktpass: Förderung der Digitalisierung und Kreislaufwirtschaft durch standardisierte Daten
Europäische Kommission: Circular economy action plan (CEAP): https://environment.ec.europa.eu/strategy/circular-economy-action-plan_en
NCF
NF
Blockchain and our planet: why such high energy use? https://pre-sustainability.com/articles/blockchain-and-our-planet-why-such-high-energy-use/
How NFC can help your business become more sustainable. Download des Whitepapers.
Apple includes NFC in MagSafe accessories for new iPhones
Blockchain
Schneider, Nathan (2022): Proof of Stake: The Making of Ethereum and the Philosophy of Blockchains Seven Stories Press
Blockchain and our planet: why such high energy use? https://pre-sustainability.com/articles/blockchain-and-our-planet-why-such-high-energy-use/
Sandner, Philipp / Tumasjan, Andranik / Welpe, Isabell (2020): Die Zukunft ist dezentral: Wie die Blockchain Unternehmen und den Finanzsektor auf den Kopf stellen wird. BoD – Books on Demand; 1. Edition